Fokus In­fla­ti­on II: Vier Grün­de für die re­kord­ho­he In­fla­ti­ons­ra­te in den USA

Die Prei­se stei­gen in den USA so stark an wie seit Jahr­zehn­ten nicht mehr. Die Si­tua­ti­on ist be­sorg­nis­er­re­gend, weil sich die Ver­an­ke­rung der In­fla­ti­ons­er­war­tun­gen nahe Null lösen könn­te. Die Folge wäre eine Lohn-Preis-Spi­ra­le, die nur noch unter hohen Kos­ten­fol­gen un­ter­bro­chen wer­den könn­te. Doch wieso stei­gen die Prei­se nun so ab­rupt an, viel stär­ker als es die Wäh­rungs­hü­ter oder die An­le­ger er­war­tet haben?

Es ist nicht ein Grund, der die Prei­se in den USA der­zeit so stark stei­gen lässt, es sind im We­sent­li­chen vier Phä­no­me­ne, die mehr oder we­ni­ger gleich­zei­tig auf­ge­tre­ten sind: Roh­stoff­preis­an­stieg, Lie­fer­eng­päs­se, ultra-ex­pan­si­ve Geld­po­li­tik und staat­li­che Sti­mu­li.

Zum ers­ten Grund: Die USA mach­ten sich wie viele an­de­re Län­der gros­se Sor­gen um die kon­junk­tu­rel­le Baisse auf­grund der Co­ro­na-Pan­de­mie. Ihre Ant­wort war eine sim­ple: Sti­mu­lie­re die Nach­fra­ge im Land, indem den Men­schen Checks aus­be­zahlt wer­den. Der Fis­kal­sti­mu­lus von Biden im März 2021 be­trug 1,9 Bil­lio­nen Dol­lar. Schon wäh­rend der Trump-Ad­mi­nis­tra­ti­on wur­den staat­li­che Kon­junk­tur­pa­ke­te im gros­sen Um­fang ge­schnürt. Doch das Geld glich nicht nur die Ein­kom­mens­aus­fäl­le auf­grund von Co­ro­na aus, son­dern be­scher­te den ame­ri­ka­ni­schen Haus­hal­ten vor­über­ge­hend sogar ein deut­lich hö­he­res ver­füg­ba­res Ein­kom­men.

Zwei­ter Grund: Neben dem star­ken Fis­kal­im­puls ver­stärk­te die US-No­ten­bank (FED) die ultra-ex­pan­si­ve Geld­po­li­tik wei­ter und wurde sogar noch gross­zü­gi­ger. Wäh­rend vor der Pan­de­mie die mo­ne­tä­re Basis 3,44 Bil­lio­nen Dol­lar be­tra­gen hatte, lies­sen die Wert­pa­pier­käu­fe diese bis Ende 2021 auf 6,41 Bil­lio­nen an­schwel­len. Oder mit an­de­ren Wor­ten sti­mu­lier­te das FED die U.S.-Volks­wirt­schaft seit dem Pan­de­mie­aus­bruch mit gegen 3000 Mil­li­ar­den Dol­lar, was fast eine Ver­dop­pe­lung der mo­ne­tä­ren Basis zur Folge hatte. Das FED führ­te also den Geld­sti­mu­lus bis Ende 2021 fort. Dies sti­mu­lier­te zwar vor allem die Ak­ti­en­märk­te, aber in­di­rekt auch die Nach­fra­ge der Haus­hal­te in den USA.

Als sich nun im letz­ten Früh­jahr die epi­de­mio­lo­gi­sche Lage be­ru­hig­te und wirt­schaft­li­che Ein­schrän­kun­gen gröss­ten­teils weg­fie­len, wurde nicht nur der ver­gan­ge­ne Kon­sum nach­ge­holt, son­dern die US-Ame­ri­ka­ner konn­ten sich im Durch­schnitt sogar noch mehr leis­ten als vor der Pan­de­mie. Der Kon­sum stieg ra­sant.

Drit­ter Grund: Die pan­de­mie­be­ding­te Pause führ­te im Som­mer 2021 zu einer welt­wei­ten Er­ho­lung. Doch der mar­kan­te, welt­wei­te Kon­su­man­stieg fast zum sel­ben Zeit­punkt über­for­der­te die Pro­du­zen­ten, die wäh­rend der Pan­de­mie noch mit einer schwa­chen Nach­fra­ge kon­fron­tiert ge­we­sen waren. Plötz­lich flat­ter­ten die Be­stel­lun­gen jetzt im Mi­nu­ten­takt her­ein. Die Lie­fer­eng­päs­se nah­men zu, das An­ge­bot ver­teu­er­te sich.

Vier­ter Grund: Die sich rasch er­ho­len­de Welt­wirt­schaft be­nö­tig­te wie­der mehr En­er­gie und Roh­stof­fe. Der pan­de­mie­be­ding­te Ein­bruch der Roh­stoff­prei­se wurde rasch kor­ri­giert. Wäh­rend bei­spiels­wei­se das Fass Rohöl in der ers­ten Welle auf einen Preis unter 30 Dol­lar ge­sun­ken war, ka­ta­pul­tier­te die welt­wei­te Kon­junk­tur­be­le­bung den Preis bis Ende 2021 auf etwa 80 Dol­lar. (Was üb­ri­gens immer noch deut­lich unter den Höchst­stän­den aus den Jah­ren 2012 bis 2014 liegt.)

Wir be­ob­ach­ten also zwei nach­fra­ge­sei­ti­ge Grün­de und zwei an­ge­bots­sei­ti­ge Grün­de für die In­fla­ti­on. Und weil die vier Grün­de gleich­zei­tig auf­tre­ten, hei­zen sie diese an. Für die­je­ni­gen, die die­ses Zu­sam­men­spiel gerne gra­fisch be­trach­ten, hier eine ganz ein­fa­che, sti­li­sier­te Dar­stel­lung: Wären hö­he­re Roh­stoff­prei­se und hö­he­re Kos­ten auf­grund der Lie­fer­eng­päs­se al­lei­ne für die Preis­stei­ge­rung ver­ant­wort­lich, würde nur die ge­samt­wirt­schaft­li­che An­ge­bots­kur­ve nach links ver­scho­ben, von A1 auf A2. Doch der gleich­zei­ti­ge Nach­fra­ge­schock ver­schiebt auch die Nach­fra­ge­kur­ve (von N1 auf N2). Die Wirt­schafts­leis­tung bleibt dank die­ses Im­puls hoch, doch die Prei­se schnel­len in die Höhe. Viel­leicht ist der ku­mu­lier­te Nach­fra­ge­schock aus Geld- und Fis­kal­im­puls in der Rea­li­tät noch stär­ker als in un­se­rer sim­plen Dar­stel­lung. Die hö­he­re Pro­duk­ti­ons­men­ge wird dann unter noch stär­ke­ren Preis­stei­ge­run­gen er­kauft.

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Fokus In­fla­ti­on

Folge I: Ach­tung Gel­dil­lu­si­on – Der Fran­ken ist nicht mehr so stark wie 2015 

Folge II: Vier Grün­de für die re­kord­ho­he In­fla­ti­ons­ra­te in den USA

Folge III: «This time is dif­fe­rent» – wirk­lich?

Folge IV: Nicht neu­tral, son­dern ganz schön fies

Folge V: Die un­ab­hän­gi­ge SNB schlägt zu­rück

Folge VI: Wieso schlägt der Öl­preis­an­stieg nicht stär­ker auf die Schweiz durch?

Folge VII: Der Ukrai­ne-Krieg heizt die In­fla­ti­on an

Folge VIII: Der per­fek­te Sturm – so ent­steht eine Hy­per­in­fla­ti­on

Folge IX: Die Geld­po­li­tik der USA und der EZB – ein Spiel mit dem Feuer

Folge X: Ist die Tür­kei auf dem Weg zur Hy­per­in­fla­ti­on?

Fokus XI: Eine Zen­tral­bank muss die Märk­te über­ra­schen dür­fen

Fokus XII: «For­ward Gui­dance» – eine Me­di­zin mit Ne­ben­wir­kun­gen

Fokus XIII: Staats­prei­se ma­chen alles nur schlim­mer

Folge XIV: Rei­chen die Zins­er­hö­hun­gen zur Zäh­mung der Teue­rung?

Folge XV: Ist in den USA ein «Soft Lan­ding» mög­lich?

Folge XVI: Miet­zins­re­ge­lung er­schwert der SNB die Ar­beit