Falken, Tauben und die Risiken der Inflation
Nachdem die grossen Notenbanken die Geldmenge über die vergangenen Jahre massiv vergrössert haben, verdichten sich nun die Anzeichen, dass die Inflation zurückkehrt. Während das manche Ökonominnen und Ökonomen für unproblematisch halten oder sogar begrüssen, sind andere alarmiert.
Seit vielen Jahren dominieren die Tauben das geldpolitische Geschehen. Als Tauben werden Ökonomen bezeichnet, welche wenig Angst vor einer etwas höheren Inflation haben. Sie haben vielmehr die Gefahr von Abwärtsrisiken bei einer restriktiven Geldpolitik vor Augen. Gerade in den USA sind Tauben weit verbreitet. Das hat historische Gründe, hat doch eine unangemessene Geldpolitik nachweislich die «Grosse Depression» der 1930er-Jahre verstärkt: Eine zu restriktive Geldpolitik führte zu einer Deflationsspirale mit wirtschaftlich desaströsen Auswirkungen. Den Gegenpart bilden die Falken. Sie stehen in der Tradition der Monetaristen, die davon ausgehen, dass zu viel Geld früher oder später zu Inflation führen muss – und diese kann ebenfalls desaströse Folgen haben. Die Falken beziehen sich etwa auf die Hyperinflation im Deutschland der Zwischenkriegszeit, in welcher grosse Bevölkerungsteile komplett verarmten. Die Falken gehen meist davon aus, dass eine Deflation am besten verhindert wird, wenn die Preise über die Jahre hinweg stabil bleiben und nicht nach einer Preisblase das grosse Erwachen folgt. Sie sagen vereinfacht: «Inflation ist sehr gefährlich. Deflation kann leicht verhindert werden.» Die Tauben hingegen sagen: «Deflation ist sehr gefährlich. Mit Inflation kann man leben».
In Europa sind die Tauben in den lateinischen Ländern stark vertreten, während die Falken vor allem in Deutschland zu Hause sind. Auch die Schweizerische Nationalbank zählt zur Falkengruppe, priorisiert sie doch die Preisstabilität vor der konjunkturellen Entwicklung. In den USA und in Grossbritannien sind Tauben in der Mehrheit und prägen die Geldpolitik.
Diese zugegebenermassen etwas gar vereinfachte Darstellung hilft bei der Einordnung der aktuellen Lage. Für Tauben ist die momentane Preisentwicklung vergleichbar mit einer Welle, die vorübergeht und keinen nachhaltigen Schaden anrichtet. Inflation hat sogar etwas Gutes, weil die riesigen Schuldenberge etwas kleiner werden. Also gilt: «Don’t worry, be happy.» Demgegenüber sind die Falken alarmiert. Die höchsten Preissteigerungen seit vielen Jahren könnten den Start in eine Inflationsära bedeuten. Die für lange Zeit stabilen Inflationserwartungen drohen nach oben zu klettern: Unternehmen antizipieren höhere Preise, Arbeitnehmer verlangen eine Kompensation für die Reallohnerosion. Eine Lohn-Preis-Spirale würde die Inflation anheizen und die lange Phase der Preisstabilität zunichtemachen. Kurzum: «Be worried, not happy.»
Als Ökonom, der die Kosten der Inflation nicht auf die leichte Schulter nimmt, bin ich besorgt über die sorglose Geldvermehrung, welche die grossen Notenbanken seit der Finanzmarktkrise betreiben. Die Ingredienzen für eine Inflationsentwicklung sind da. Ein Flächenbrand ist möglich. Und die Falken wissen, dass die Inflationsbekämpfung in aller Regel eine teure Angelegenheit wird. Hoffen wir daher, etwas contre coeur, dass die Tauben Recht behalten.