Erbschaftssteuer

Erb­schafts­steu­er-In­itia­ti­ve: Die Schweiz ist kein un­ge­rech­tes Land

Eines der Haupt­ar­gu­men­te der In­iti­an­ten der Erb­schafts­steu­er-In­itia­ti­ve ist, dass die Ver­mö­gen in der Schweiz ein­sei­tig ver­teilt seien. Das führe zu Chan­cen­un­gleich­heit. Eine na­tio­na­le Erb­schafts­steu­er könne das aus­glei­chen. Aber ist die Schweiz wirk­lich so un­ge­recht, wie von den In­iti­an­ten be­haup­tet wird? Die Zah­len zei­gen ein an­de­res Bild. Mehr Um­ver­tei­lung ist nicht nötig.

Die Be­für­wor­ter der Erb­schafts­steu­er-In­itia­ti­ve haben sich zum Ziel ge­setzt, den Reich­tum in der Schweiz ge­rech­ter zu ver­tei­len. So gut diese Ab­sicht tönt, so schwach ist das Fun­da­ment, auf dem sie steht. Die Schweiz ist kein «un­ge­rech­tes» Land – und die Um­ver­tei­lung funk­tio­niert schon heute gut. Hier ei­ni­ge Zah­len:
 

  • Die Aus­sa­ge der In­iti­an­ten, dass die Reichs­ten zehn Pro­zent in der Schweiz gut 75 Pro­zent des Rein­ver­mö­gens be­sit­zen, trifft ge­mäss den of­fi­zi­el­len Sta­tis­ti­ken zu. Die Sta­tis­ti­ken of­fen­ba­ren je­doch nur die halbe Wahr­heit: Ein Gross­teil der Schwei­zer Pri­vat­ver­mö­gen steckt in der be­ruf­li­chen Vor­sor­ge sowie in Lie­gen­schaf­ten. Letz­te­re wer­den je­doch zu den kan­to­na­len Steu­er­wer­ten er­fasst, die be­deu­tend tie­fer sind als die ent­spre­chen­den Ver­kehrs­wer­te. Das Ver­mö­gen in Lie­gen­schaf­ten wird des­halb in den Sta­tis­ti­ken zu tief aus­ge­wie­sen. Auch die Vor­sor­ge­gel­der der zwei­ten und drit­ten Säule wer­den in der Sta­tis­tik nicht er­fasst. Al­lei­ne die Be­rück­sich­ti­gung die­ser Gel­der (rund 713 Mil­li­ar­den Fran­ken) würde das auf 1475 Mil­li­ar­den Fran­ken be­zif­fer­te Rein­ver­mö­gen der of­fi­zi­el­len Sta­tis­tik um fast 50 Pro­zent er­hö­hen. Eine qua­li­ta­ti­ve Aus­sa­ge über die Ver­mö­gens­ver­tei­lung in der Schweiz ist auf die­ser Grund­la­ge schwie­rig. Klar ist: Das Ver­mö­gen ist sehr viel brei­ter ver­teilt, als die Sta­tis­ti­ken – und die Be­für­wor­ter der Erb­schafts­steu­er-In­itia­ti­ve – Glau­ben ma­chen wol­len. Zudem darf nicht ver­ges­sen gehen, dass die Reichs­ten zehn Pro­zent etwa 90 Pro­zent der Ver­mö­gens­steu­er fi­nan­zie­ren. 

 

  • Auch hin­ter dem Ar­gu­ment der Chan­cen­un­gleich­heit ste­hen Fra­ge­zei­chen. Die Schweiz hat in Bezug auf Ge­sund­heit und Bil­dung her­vor­ra­gen­de Rah­men­be­din­gun­gen zur Ge­währ­leis­tung der Chan­cen­gleich­heit. Jede Per­son in der Schweiz hat frei­en Zu­gang zu Bil­dung und Ge­sund­heit. We­ni­ger gut si­tu­ier­te El­tern er­hal­ten Sub­ven­tio­nen für die Fremd­be­treu­ung ihrer Kin­der, Prä­mi­en­ver­bil­li­gun­gen für die Kran­ken­kas­se usw. Un­ter­su­chun­gen zei­gen, dass ge­ra­de bei den un­te­ren Ein­kom­men die Ein­kom­mens­mo­bi­li­tät hoch ist. Knapp die Hälf­te der ein­kom­mens­schwächs­ten Per­so­nen schafft es, im Zeit­raum von zehn Jah­ren in eine hö­he­re Ein­kom­mens­ka­te­go­rie auf­zu­stei­gen. Bei hoher Chan­cen­un­gleich­heit wäre die Mo­bi­li­tät deut­lich ge­rin­ger.

 

  • Die kürz­lich pu­bli­zier­ten Zah­len der OECD zei­gen, dass die Ein­kom­men in der Schweiz ge­recht ver­teilt sind. Nicht nur im Ver­gleich zur Ein­kom­mens­ver­tei­lung in an­de­ren Län­dern steht die Schweiz gut da, son­dern auch in Bezug auf die Ent­wick­lung der Ver­tei­lung. In fast kei­nem an­de­ren Land ist der Gini-Ko­ef­fi­zi­ent – das Mass zur Dar­stel­lung der Ein­kom­mens­ver­tei­lung – in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ge­sun­ken. Das heisst, die Ein­kom­men sind ge­rech­ter ver­teilt. Ins­be­son­de­re beim Ver­gleich der Markt­ein­kom­men schnei­det die Schweiz sehr gut ab. Der Be­darf nach einer zu­sätz­li­chen staat­li­chen Ein­kom­men­sum­ver­tei­lung ist ent­spre­chend ge­ring. In Län­dern wie bei­spiels­wei­se Schwe­den sind die Ein­kom­men vor der Um­ver­tei­lung we­sent­lich un­glei­cher ver­teilt als in der Schweiz. Erst mit­tels einer star­ken Um­ver­tei­lung wer­den die Ein­kom­men un­we­sent­lich «ge­rech­ter» ver­teilt als bei uns. Zudem zeigt ein Blick in die his­to­ri­schen Daten, dass der An­teil der To­p­ein­kom­men am Ge­samt­ein­kom­men in der Schweiz heute klei­ner ist als 1940. Über die ganze Pe­ri­ode hin­weg be­trach­tet sind keine gros­sen Schwan­kun­gen zu ver­zeich­nen. Eine sich öff­nen­de Ein­kom­mens­sche­re kann in der Schweiz – ganz im Ge­gen­satz zu an­gel­säch­si­schen Län­dern – nicht be­ob­ach­tet wer­den. 

 

  • Steu­er­re­for­men haben zudem zu Ent­las­tun­gen ge­führt, von denen vor allem un­te­re und mitt­le­re Ein­kom­men und ins­be­son­de­re Fa­mi­li­en pro­fi­tiert haben. So be­zahlt heute knapp die Hälf­te der Fa­mi­li­en keine di­rek­te Bun­des­steu­er mehr. Hohe Ein­kom­men wur­den dem­ge­gen­über we­ni­ger ent­las­tet. Ihr An­teil an der Fi­nan­zie­rung der di­rek­ten Bun­des­steu­er hat sich in den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren er­höht, näm­lich um knapp sie­ben Pro­zent­punk­te auf 80 Pro­zent. Un­se­re So­zi­al­wer­ke sind zudem so aus­ge­stal­tet, dass eine ge­ziel­te Um­ver­tei­lung statt­fin­det. Das gilt vor allem bei der AHV. Ab einem Ein­kom­men von 84'600 Fran­ken sind die Bei­trä­ge nicht mehr ren­ten­bil­dend, sie sind aber auch bei hö­he­ren Ein­kom­men voll zu ent­rich­ten. Die Lohn­bei­trä­ge ab einem Ein­kom­men von 84'600 Fran­ken haben des­halb Steu­er­cha­rak­ter. Es steht ihnen keine Leis­tung ge­gen­über. Schät­zungs­wei­se 15 Pro­zent der ge­sam­ten AHV-Bei­trä­ge – also fast 4,5 Mil­li­ar­den Fran­ken – wer­den auf diese Art fi­nan­ziert. 


Auch wenn die Ein­kom­men und die Ver­mö­gen in der Schweiz nicht gleich­mäs­sig ver­teilt sind, so sind die Rah­men­be­din­gun­gen in un­se­rem Land doch so aus­ge­stal­tet, dass die Chan­cen­gleich­heit ge­währ­leis­tet ist. Einen gros­sen Bei­trag dazu leis­ten un­se­re Steu­er- und So­zi­al­ver­si­che­rungs­sys­te­me, die eine ge­woll­te Um­ver­tei­lung von oben nach unten, von rei­che­ren zu är­me­ren Per­so­nen, si­cher­stel­len.

In einem grund­sätz­lich be­reits sehr so­li­da­ri­schen Sys­tem sind die Kos­ten von noch mehr Um­ver­tei­lung be­son­ders genau zu eva­lu­ie­ren. Be­trach­tet man den ge­rin­gen Nut­zen der vor­ge­schla­ge­nen Erb­schafts­steu­er und stellt ihm den Scha­den, den diese neue Steu­er an­rich­ten würde, und die Kos­ten, die mit ihr ver­bun­den wären, ge­gen­über, er­gibt sich ein denk­bar schlech­tes Kos­ten-Nut­zen-Ver­hält­nis.