Bilaterale

Bilaterale besser als ein umfassendes Freihandelsabkommen

Ein umfassendes Freihandelsabkommen mit der EU ist weit entfernt von einer gleichwertigen Alternative zu den Bilateralen Verträgen. Das haben Experten im Auftrag des Bundes nun bestätigt. Viele Vorteile und Garanten des Schweizer Erfolgs würden wegfallen, wenn die Schweiz nur ein Freihandelsabkommen mit der EU hätte.

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Die Schlussfolgerung des Bundesrats ist deutlich: «Die bilateralen Abkommen bilden einen massgeschneiderten rechtlichen Rahmen, welcher den engen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sowie der geografischen Lage der Schweiz im Zentrum Europas gerecht wird.» Und weiter: «Die bilateralen Abkommen decken die Interessen der Schweiz wie oben dargelegt besser ab, als dies mit einem umfassenden Freihandelsabkommen je erreicht werden könnte.» Das schreibt er in seinem Bericht, den er gemeinsam mit mehreren Experten aus Bundesämtern sowie den Professoren Astrid Epiney (Universität Freiburg) und Reto Föllmi (Universität St. Gallen) erarbeitet hat.

Zwar würde ein umfassendes Freihandelsabkommen ebenfalls gewisse Marktzugangsschranken abbauen, nicht aber in dem Ausmass, wie es die Bilateralen I vorsehen. Es würden bedeutende Bereiche des Marktzugangs ausgeklammert – insbesondere die technischen Handelshemmnisse für Industriegüter oder im Landwirtschaftsbereich, Zollsicherheit, Personenfreizügigkeit sowie der gegenseitig erleichterte Marktzugang in bestimmten Dienstleistungssektoren wie Landverkehr und Luftverkehr. Das bedeutet: Bei einem Freihandelsabkommen mit der EU müssten Schweizer Firmen ihre Produkte doppelt prüfen lassen – sowohl in der Schweiz wie auch in der EU. Je nachdem müssten sie sogar gesonderte Serien von Produkten herstellen, um die EU-Vorschriften zu erfüllen. Dank der Bilateralen I hingegen müssen hiesige Industrieunternehmen ihre Güter nur einmal zertifizieren lassen. Dadurch sparen sie bis zu 500 Millionen Franken im Jahr.

Während die Bilateralen I den Luftverkehrsmarkt zwischen der Schweiz und der EU öffnen, wäre das auch mit einem umfassenden Freihandelsabkommen nicht gegeben. Das heisst, dass gerade in diesem sehr umkämpften Markt Schweizer Anbieter gewaltige Wettbewerbsnachteile einstecken müssten. Schweizer Passagiere müssten mit stark höheren Flugpreisen rechnen, die Swiss in ihrer heutigen Form würde kaum existieren.

Produkte aus der EU wie Gemüse und Früchte, Pflanzenschutz- und Futtermittel, Saatgut sowie Biogüter müsste die Schweiz mit einem umfassenden Freihandelsabkommen an der Grenze wieder kontrollieren und Zeugnisse verlangen. Damit würde nicht nur die Vielfalt der Produkte für Schweizer Konsumenten abnehmen und diese teurer werden, auch die Schweizer Firmen müssten höhere Kosten für Vorleistungen tragen. Auch würde ein umfassendes Freihandelsabkommen nicht gewährleisten, dass die Schweiz ihre Verkehrspolitik mit der EU koordinieren und damit ihre Ziele im Alpenschutz erreichen könnte.

Zuletzt wäre auch die Personenfreizügigkeit kein Bestandteil eines umfassenden Freihandelsabkommens. Damit könnten Unternehmen gerade in Phasen wirtschaftlichen Aufschwungs nicht sicherstellen, dass sie die geeigneten Angestellten rechtzeitig finden und somit Aufträge übernehmen können. Seit sie das dank der Bilateralen I können, gibt es in der Schweiz über 660'000 zusätzliche Erwerbstätige, über die Hälfte davon sind Schweizerinnen und Schweizer. Zugleich sind die durchschnittlichen Reallöhne stärker gestiegen als in den Jahren vor Inkrafttreten der Bilateralen I.

Letztlich ist ungewiss, welche Rechte die Schweiz für die hiesigen Unternehmen in Verhandlungen zu einem umfassenden Freihandelsabkommen erzielen kann. Diese Unsicherheit würde sich selbstverständlich negativ auf Investitionsentscheide auswirken. Zudem ist laut den Autoren des Berichts klar: «Selbst wenn die EU Bereitschaft zeigte, bestehende, von einem umfassenden FHA erfasste Teile der bestehenden bilateralen Abkommen zu erhalten, würde ein umfassendes FHA betreffend den Abbau von Marktzugangshindernissen einen Rückschritt im Vergleich zum heutigen bilateralen Vertragswerk bedeuten.» Dieses habe die Schweiz in den 1990er-Jahren ja gerade deshalb ausgehandelt, weil den Bedürfnissen der Schweizer Wirtschaft alleine mit dem Freihandelsabkommen (1972) nicht genügend Rechnung getragen werden kann.

Bei ihrem Szenario zu einem umfassenden Freihandelsabkommen haben sich die Autoren auf die Ansätze gestützt, die es bereits in bestehenden Freihandelsabkommen gibt. Das bedeutet, dass zum Beispiel Zölle abgebaut würden, aber keine Rechtsharmonisierung vorgesehen würde.

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