AHV und Corona-Schulden: Ein Härtetest für die Nachhaltigkeit
Finanzielle Nachhaltigkeit bedeutet, die Kosten nicht auf morgen zu verschieben. Sowohl beim Umgang mit den Corona-Schulden wie der Reform der Altersvorsorge AHV geht es um sehr viel Geld, und darum, dass wir jetzt späteren Generationen nicht zu viel aufbürden.
Die Corona-Pandemie hat zu einem Schuldenberg geführt, der bis Ende 2021 wohl gegen 30 Milliarden Franken betragen dürfte. In ähnlicher Höhe (26 Milliarden) liegt der ungedeckte zusätzliche Finanzbedarf der AHV bis 2030. In beiden Fällen ist eine Frage zentral: Wer kommt für diese hohen Kosten auf? Leisten wir heute unseren Beitrag an die Problembewältigung, oder lassen wir spätere Generationen bezahlen?
Jeder Steuerfranken hat Opportunitätskosten
Nachhaltigkeit, so das Prinzip, verlangt einen schonenden Umgang mit unseren Ressourcen. Das gilt im Umweltbereich, aber auch im Finanziellen. Bei den Steuern heisst Nachhaltigkeit Masshalten im Wissen, dass jeder Steuerfranken eine alternative Verwendung (etwa für Investitionen) verhindert und damit Opportunitätskosten (verpasste Chancen) entstehen. Bei den Ausgaben ist es nicht anders, vor allem wenn es sich dabei um staatlichen Konsum handelt. Ist dieser darüber hinaus nicht steuer-, sondern schuldenfinanziert, wird längerfristig auch der Handlungsspielraum von nachkommenden Generationen eingeschränkt.
Ein zentrales Element der finanziellen Nachhaltigkeit im staatlichen Bereich ist die Schuldenbremse. Einnahmen und Ausgaben müssen auf Dauer im Gleichgewicht gehalten werden. Bedürfnisse, die wir gegenwärtig haben, sind mit den heutigen Mitteln und nicht mit jenen von morgen zu finanzieren. Das Rezept hat bisher gut funktioniert.
Doch nun kommt es durch die Corona-Pandemie vorübergehend zu einem extremen Anstieg der staatlichen Konsumausgaben, was legitim ist, soweit es sich um einen Beitrag zur Systemstabilität handelt. Die Frage stellt sich allerdings, wie im Nachgang der Krise mit der Situation umgegangen wird, dass die Schulden des Bundes voraussichtlich um gut einen Drittel höher sein werden und somit wieder den Stand von vor Einführung der Schuldenbremse erreicht haben werden.
Schulden stehen lassen ist das Schlechteste
Der Bundesrat will zum Umgang mit den Corona-Schulden noch dieses Jahr Vorschläge in die Vernehmlassung geben. Die Idee, die Schulden einfach stehen zu lassen, erscheint unter allen Alternativen als die schlechteste. Der Schuldenausgleich ist gemäss Gesetz auch in den Folgejahren einer ausserordentlichen Krise verpflichtend, und das mit gutem Grund.
Corona-Schulden sind unsere Schulden und nicht die unserer Nachkommen. Diese profitieren nicht mehr von den damit finanzierten Leistungen. Der Nutzen liegt bei uns, auch wenn es sich um Schadensausgleich handelt. Aus Sicht einer generationengerechten Finanzpolitik spricht alles dafür, dass wir unsere Verpflichtungen bereinigen und sie nicht weitergeben. Der Dachverband der Wirtschaft, economiesuisse, plädiert deshalb für einen vernünftigen, aber verbindlichen Schuldenabbau.
Ein anderes Schuldenproblem besteht in der Altersvorsorge durch die Verpflichtungen, die aus den heutigen Regeln für die Zukunft hervorgehen. Mit der Babyboomer-Generation gehen grosse Jahrgänge bald in Pension. Das Verhältnis zwischen der aktiven und der Bevölkerung im Ruhestand nimmt ab: Immer weniger Erwerbstätige müssen immer mehr Rentner finanzieren.
Gleichzeitig ist die Lebenserwartung stetig gestiegen. Bei der Einführung der AHV 1948 wurde mit durchschnittlich 13 Bezugsjahren nach der Pensionierung gerechnet; heute sind es 23 Jahre. Bei gleichbleibenden Renten entspricht dies einem grosszügigen Leistungsausbau, der aber seit Längerem nicht mehr durch die bestehenden Einnahmen gedeckt werden kann. Das gut prognostizierbare und immer grösser werdende Finanzierungsloch widerspricht jeglicher Vorstellung finanzieller Nachhaltigkeit. Auch hier stellt sich die Frage, wie mit der Situation der impliziten Verschuldung umgegangen werden soll.
Enormer Bedarf auch in der AHV
Ein nochmaliger Geldeinschub, wie er gegenwärtig im Reformprogramm AHV21 debattiert wird, schafft zwar etwas Linderung, ist aber keine nachhaltige Lösung. Der Mittelbedarf ist schlicht zu gross. Basierend auf Projektionen wird der AHV im Jahr 2040 ein jährlicher Betrag von zwölf Milliarden Franken fehlen. Müsste der Bund dafür aufkommen, würde das bedeuten, dass zum Ausgleich beispielsweise die Bundes-Einkommenssteuer nicht weniger als verdoppelt werden müsste oder auf die Mittel für die Armee, die Landwirtschaft und die Entwicklungshilfe ganz verzichtet werden müsste. Alternativ müsste die Mehrwertsteuer um vier Prozentpunkte (also rund die Hälfte) erhöht werden, was Haushalte mit tieferen Einkommen und Familien stark belasten würde.
Man kann es drehen und wenden wie man will: Lässt man die AHV ohne grundlegende systematische Reformen einfach weiterlaufen, bürdet das späteren Generationen enorme finanzielle Belastungen auf und strapaziert den Generationenvertrag derart, dass das System unter Umständen als Ganzes infrage gestellt wird. An einer Anpassung des Rentenalters an die veränderten Lebensrealitäten führt deshalb kein Weg vorbei.
Probleme auf morgen zu verschieben ist menschlich. Nachhaltig ist es aber meist nicht. Der Umgang mit den Corona-Schulden und mit dem Finanzierungsproblem der AHV wird zeigen, wie ernst es unserer Generation mit der finanziellen Nachhaltigkeit tatsächlich ist.
Dieser Artikel ist am 18.05.2021 bei «NZZ Online» erschienen.